Schottland 2018 – TEIL 1
Verbringe eine Woche auf einer Insel zwischen Meer, grünem Gras, Bergen und Schafen – und du vergisst die ganze Welt da draußen. Nicht möglich? Ich sage: Ist es!
Ich hatte den Selbstversuch gestartet, wollte raus aus dem Alltag, alles hinter mir lassen – zumindest für eine kurze Zeit. Das Ziel: die Isle of Mull. Ein Ausstieg aus dem täglichen Trott des Lebens, weg von der Arbeit war bitter nötig. Schottland rief nach mir. Wusste ich schließlich, dass ich dort auch im letzten Jahr die Ruhe und Ausgeglichenheit fand, die daheim manchmal etwas verloren geht. Ich finde nach wie vor, dass es wichtig ist, sich auch einmal treiben zu lassen, Entspannung zu suchen, Kraft zu tanken. Ich hatte nicht den Plan „mich selbst zu finden“, sondern einfach ein paar Gedanken und Vorstellungen vom Leben gerade zu rücken. Entsprechend hegte ich nicht die Erwartung das volle Kulturprogramm zu absolvieren. Ich wollte auf diese Insel, um zu atmen.
Schiff sticht in See
Mein Startpunkt war das kleine Örtchen Oban im Westen Schottlands. Von hier fahren täglich mehrere Fähren von Caledonian MacBryane über den Atlantik. Fahrzeit: ca. 45 Minuten. Die Herausforderung: Ich bin noch nie mit einer Fähre über das offene Meer gefahren. Also hatte ich keine Ahnung, ob ich nicht grün angelaufen über der Railing hängen würde, geschweige denn wie ich meinen Mietwagen in das Schiff manövrieren sollte. Gelassenheit war mein Credo. Ich hämmerte mir dieses Wort hinter die Stirn, während ich das Auto in die Warteschlange kullern ließ. Doch wie sagt man so schön? Selbst ist die Frau. Durch die äußerst netten Einweisungskünste der Fährmitarbeiter schob ich den knuddeligen Opel Mokka in den Bauch der Fähre. Weniger spektakulär als ich dachte. Erleichtert über die beinah aalglatte See, gesellte ich mich zu den übrigen Fahrgästen an Deck und fühlte mich ein wenig wie Rose DeWitt Bukater. Leider hatte ich weder so einen hübschen Hut, noch das passende Taschentuch zum Winken. Reagiert hätten darauf vermutlich eh nur die Möwen, die im Hafen kreisten. Romantisch wurde die Überfahrt erst, als sich die Sonne leicht durch die Wolken schob und silbernen Glanz über das Wasser zog. Spätestens beim Anblick der einsamen Berglandschaften hinter den Ufern und dem noch einsameren Leuchtturm inmitten der Meerenge zwischen dem britischen Festland und der Isle of Mull, spürte ich eine kleine Verliebtheit in den Moment aufkeimen. Ich konnte nicht glauben, dass ich das Glück hatte diese unglaubliche Schönheit um mich herum genießen zu dürfen. Mit der Nase in den kalten Zugwind gerichtet, schloss ich die Augen und fühlte mich zum ersten Mal seit Monaten frei. Vorbei am Duart Castle glitt die Fähre wenige Minuten später in den Hafen von Craignure. Sofort wurde mir bewusst, dass die Isle of Mull nicht darauf wartete von Touristen überrollt zu werden. Nur ein paar wenige Häuser säumten das Ufer, schienen zu sagen: „Mehr braucht es hier nicht“.
Als ich schließlich zurück zu meinem Mokka ging, tat sich die erste kleine Herausforderung zur Weiterfahrt auf. Zugeparkt. Echt jetzt? Die schottische Gemütlichkeit hatte offenbar bei den Einweisern gesiegt, denn hier hatte jemand ordentlich gepennt und das hintere Fahrzeug genau neben meiner Fahrertür parken lassen. Naja, Improvisation ist alles, nicht wahr? Also schwang ich mich auf den Beifahrersitz und brachte meine beim Jazzdance gelernten Dehnungskünste zum Einsatz, um hinter das Steuer zu gelangen. Gesagt getan, hatte ich wenige Minuten später wieder festen Boden unter den Rädern und fuhr zu meinem B&B in den Süd-Westen der Insel. Geschätzte Zeit von Google: 45 Minuten, tatsächlich gefahrene Zeit bis zur Ankunft: 1 Stunde und 35 Minuten. Der Grund: Single Track Roads. Ich kann gar nicht beschreiben, wie k.o. ich war, als ich endlich meinen Koffer ins Zimmer schleppte. An diesem ersten Tag glaubte ich kurzzeitig die Isle of Mull nicht lebend zu verlassen. Spätestens als hinter einer Kurve die Lichter eines Buses fast die vom Mokka knutschten, beschloss ich das Auto am nächsten Tag erst einmal stehen zu lassen. Es war nicht so, dass ich in Schottland das erste Mal auf solch einer Straße unterwegs war. Nur waren die bisher nie so viel befahren gewesen. Meine Reflexe habe ich so 1A trainiert. Das ist auf jeden Fall sicher.
Meine Unterkunft befand sich in Uisken, einem Ort der mehr aus Landschaft als Zivilisation besteht – was eigentlich auf jedes Dörfchen auf der Insel zutrifft. Irgendwo im Nirgendwo standen nicht mehr als sechs Häuser, die wiederum mindestens 600 Meter voneinander entfernt lagen. Davor grasten überall genüsslich die weißen Wollknäuel, während am Horizont das Meer in weichen Wogen auf den Strand rollten. Ich fühlte mich wie im Paradies. Eingewickelt in eine gemütliche Decke, verbrachte ich meinen ersten Abend auf der Isle of Mull in einem Korbsessel am Fenster meines Zimmers und sah zu wie die Ebbe der Flut wich und wie die Dämmerung das Wasser verschluckte. Bereits zu diesem Zeitpunkt spürte ich, wie meine Gedanken immer weiter weg von zuhause wanderten, wie sie getarnt als kleine Glühwürmchen in die Ferne tanzten.
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