Rest and Remember

„Der Himmel beginnt sich fein zu streifen. Minuten aus der Ewigkeit. Schatten wie Gitarrensaiten. Die Gefangenes befreien. Wir sitzen auf alten Steinen. Trinken Wein, nichts zu bereuen. Klettern über Zäune. Schreien, tanzen. Freude.“

Diese Zeilen von Clueso schossen durch meinen Kopf, als ich auf dieser Bank saß. Sie hatte mich eingeladen, mich auszuruhen und zu erinnern. Nie hätte ich gedacht, dass der singende Wind in meinen Ohren und der Blick auf die wehenden Äste der Obstbäume in dem kleinen Gärtchen vor mir auch wirklich dazu beitragen würden. Es war mein Text zur Isle of Iona, der dafür sorgte, dass mir dieses Foto wieder in die Hände fiel. Ich hatte es tatsächlich vergessen.


„Komm‘ wir sieben unsere Erinnerung. Welch ein Stoff zum schweigen
Vor uns das Meer, der Berg im Hintergrund. Komm lass uns. Lass uns noch was bleiben.

Diese Bank war wie ein Triggerpunkt, der mich unerwartet zu einer Reise einlud, mit der ich nicht gerechnet hätte. Vor meinem inneren Auge tauchten diese winzigen Momente auf. Mein Papa trug mich an meiner Jeanslatzhose durch den Garten, spielte Flieger mit mir. Ich war gerade drei oder vier. Ich beobachtete meine Oma, wie sie mir mein Schnittchen in kleine Schäfchen schnitt. Sah sie mit ihrem Einkaufwägelchen ein letztes Mal die Straße hinunter laufen. Mit bebendem Herzen hielt ich die Rede zum Abschlussball in der Schule. Ich saß mit meinen Freunden auf dieser Terrasse in den andalusischen Bergen und trank viel zu viel Wein. Ich sang und tanzte mir die Seele aus dem Leib beim besten Konzert meines Lebens.

All jene Augenblicke spulten sich durch meine Hirnwindungen, ließen für einen Moment die Synapsen explodieren. Völlig unbewusst trug ich sie mit mir herum. Die Ruhe und Gelassenheit auf dieser Bank erinnerten mich – an einprägsame und glückliche Situationen. Vergangenes und doch offenbar niemals vergessen. Ich reflektierte wie wertvoll es ist, Erinnerungen zuzulassen, sie zu genießen, auch wenn sie einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Schließlich weiß man, dass sie genauso nicht wieder passieren werden.

„Wer gern erzählt, braucht Geduld. Vor allem einen Anfang. Formlose dunkle Weiden. Ziehen hinter schmutzigen Scheiben. Und die Nacht mustert aus schwarzen Augen. Still und unbewegt. Und der Zug, er fährt so langsam. Ich glaub. Ich glaub der kommt nie zu spät.“

Noch heute liebe ich es, wenn man mit Familie oder Freunden zusammen sitzt. „Weißt du noch?“, heißt es dann oft. Dann spitze ich meine Ohren und freue mich auf das Bewegende, das Witzige und das „Ach, ja!“. Was mir dann immer wieder bewusst wird, ist die Schnelligkeit der Zeit. Die schönen Momente sind immer und immer wieder viel zu schnell vorbei. Die traurigen Augenblicke wirken ganz weit weg. Kurzzeitig werden wir aufgehalten, bekommen die Gelegenheit zu senieren, zu überdenken, zu verändern. Prägendes lässt uns für das Leben lernen, ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht.


„Wie oft saß ich mit meinen Gespenstern. Schrieb Verse, Kummer und schlief. Über das Licht das ich gesehen hab. Von dem ich mich blenden ließ. Andere sitzen jetzt wie Affen. Vielleicht für nichts geschminkt. Große Augen aus Smaragden. Und der Bildschirm flimmert blind. Irgendwo klingelt ein Telefon. Jemand will sagen was ihn bewegt. Ich seh auf deine Jacke. Durch die Maschen irren Sterne. Das Licht hat sich gedreht.“

Erinnerungen ohne eine begleitende Wehmut, das funktioniert nicht. Wir beginnen vielleicht irgendwann sie bewusst zu sortieren, um im richtigen Moment die richtigen Aufzeichnungen abzurufen. Wir wägen ab, beurteilen neu und lernen etwas Entscheidendes: Erinnern bedeutet weitergehen und manchmal sogar loszulassen. Denn nur dann können wir das wichtigste im Leben tun. Nämlich neue Erfahrungen und Erlebnisse sammeln, die wir abspeichern können – für die späteren Momente, wenn uns wieder eine einsame Bank dazu einlädt Platz zu nehmen.

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