Wie ich in Stonehaven im Polizeiwagen landete

Im letzten Jahr hatte ich in Schottland ein Erlebnis, dass ich so schnell nicht vergessen werde. Der Tag begann eigentlich sehr entspannt. Ich übernachtete in Edinburgh bei einer sehr netten Familie und unterhielt mich beim Frühstück mit Louise, der Mum, über ihre Besuche in Deutschland. Mein Tag sollte mich schließlich nach Stonehaven bringen. Ich wollte mir unbedingt das Dunnottar Castle ansehen. Zunächst machte ich einen Abstecher nach Fallkirk, dem Ort, der für die Serie Outlander als Drehort für Inverness diente. Im Nieselregen, 10.00 Uhr morgens, war der kleine Ort noch ganz verschlafen und umso romantischer. Jedoch blieb ich nicht lange, schließlich wartete auf mich eine der schönsten Burgruinen Schottlands.

Wenn die liebe Parkuhr nicht gewesen wäre

In Stonehaven angekommen, lotzte mich mein Navi zum zentral gelegenen Visitor-Parkplatz. Nachdem ich endlich verstand wie das System der Parkuhr funktionierte – man musste das Kennzeichen des Autos eingeben, um anschließend ein individuell ausgestelltes Ticket zu bekommen – stellte ich fest, dass ich kein bisschen Kleingeld mehr hatte und der Automat natürlich keine Kreditkarte nahm. Nicht weiter wild, dachte ich mir. Schließlich war die erste halbe Stunde frei. Also legte ich frohen Mutes den Parkschein ins Auto und stapfte in Richtung Strand. Wie sollte es anders sein, war der Weg zum Dunnottar Castle von hier aus länger als erwartet. Doch war ich mittlerweile soweit im schottischen Entspannungsmodus angekommen, dass ich keinerlei Zeit auf Vorbereitung verschwendet hatte und jetzt die Rechnung zu bekommen schien. Die Burgruine war natürlich nicht mal in Sichtweite. Also war eine Planänderung angesagt. Ich machte ein paar Schnappschüsse in die Sonne hinein und Kehrtwende, zurück zum Auto. Mithilfe meiner Karten würde ich nach einem idealeren Parkplatz suchen. Auf die Idee, einfach in einem Laden Geld kleiner wechseln zu lassen, bin ich irgendwie nicht gekommen.

Die Sache mit dem Linksverkehr

Gesagt, getan, gab ich eine neue Anlaufstelle im Navi ein und startete einen neuen Anlauf. Irgendwie landete ich dann in einer kleinen Einbahnstraße. Scheinbar schätzte ich den Abstand zur linken Seite nicht richtig ein, denn plötzlich war der Spiegel weg. Bis zu diesem Zeitpunkt, dachte ich, ich hätte das mit dem Linksverkehr ganz gut drauf. Doch schmale Einbahnstraßen mit links parkenden Fahrzeugen waren eine ganz andere Geschichte. Und so kam es, dass mein lieber Mietwagen unbedingt den Trailer der Stonehaven Baptist Church knutschen wollte. Nach einem kurzen Schockmoment schauten dann auch schon zwei sorgenvolle Gesichter durch mein Fahrerfenster, um mich zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung war. Vor mir stand das Pfarrer-Paar höchst persönlich. Mit dem Knall des Aufpralls wurden sie aus ihrer Gartenarbeit herausgerissen.

Amerikaner in Schottland

Wie sich herausstellte, waren Nathan und seine Frau gebürtige Amerikaner Mitte dreißig, die vor drei Jahren nach Stonehaven gezogen waren. Die warmherzigsten Fremden, die ich je getroffen hatte. Von Ärgernis oder Vorwürfen keine Spur. Im Gegenteil, sie sorgten sich mehr um mich als um den Anhänger, versuchten mich aufzuheitern und halfen mir alle weiteren Schritte einzuleiten. Denn leider hatte sich nicht nur der Seitelspiegel verabschiedet, nein auch der Reifen hatte beschlossen sich von der Felge zu pellen, da er – welch Zufall – direkt gegen die spitzeste Ecke des ganzen Trailers geraten war. Also blockierte ich mit meinem Wagen die gesamte Straße. Das sollte aber Gott sei Dank kein Problem darstellen, da sie ungefähr so befahren war wie der Feldweg zur nächsten Kuhwiese.

Vokabelchaos und Kratzer im Asphalt

Während Nathans Frau die Polizei rief, versuchte ich mit der Autovermietung zu telefonieren. Was sich etwas schwierig gestaltete, da mein Kopf kurzzeitig nicht mal mehr in Muttersprache denken konnte. So war ich dankbar, dass Nathan mir alle Begrifflichkeiten zurief, damit ich der Call-Center-Dame am Hörer den Zustand des Autos schildern konnte. Sie bat mich schließlich zwei Stunden zu warten, dann käme ein Abschleppwagen. In dieser Zeit fuhr auch schon die schottische Polizei im Landrover vor und ich musste sofort an 101 Dalmatiner denken, wie diese niedlichen kleinen Welpen im Kofferraum saßen. Aus dem Auto stiegen vermutlich die klischeehaftesten Polizisten des Landes aus. Mit ihren bärigen Bäuchen und tiefrollendem Akzent erkundigten sie sich über den Unfallhergang. Im Verlgeich zu Deutschland eröffnte sich mir hier eine überaus entspannte Situation. Selbst aus einem Unfall scheinen die Schotten eine angenehme Smalltalkrunde zu machen. Ich bin mir bis heute nicht sicher, was die Herren eigentlich ins Protokoll geschrieben haben – ging es schließlich nur darum das Auto mit Manneskraft an den Straßenrand zu bekommen. Einer setzte sich hinter das Steuer, während der andere voller Inbrunst gegen das verkeilte Rad trat. Ich war mir sicher, was bis jetzt an der Radaufhängung noch in einigermaßen gutem Zustand gewesen ist, war nun nicht mehr zu retten. Abschließend durfte ich mich auf den Rücksitz des Landrovers setzen, meine Daten abgeben und ins Röhrchen pusten. Nach 20 Minuten war die ganze Prozedur vorbei. Alles was zurückblieb waren ein dicker Kratzer im Asphalt, das Röhrchen als Mitbringsel für good old Germany sowie natürlich ich und mein zerschundenes Auto.

Schottische Gemächlichkeit

Was schottische Gemächlichkeit bedeutet, merkte ich daran, dass nach zwei Stunden noch lange kein Abschleppwagen in Sicht war. Mein Pfarrer-Pärchen war so zuvorkommend, mich ihre Toilette benutzen zu lassen. Und sogar ein Care-Paket mit Limonade, belegtem Brötchen und Erdnussbutter-Konfekt wurde mir zum Auto gebracht. Meine Rettung! Denn es war mittlerweile 14 Uhr durch und meine letzte Mahlzeit war das Frühstück. Nachdem ich noch drei weitere Male beim Vermieter anrief, kam dann gegen 16 Uhr endlich der Abschleppdienst – der wiederum eine geschlagene halbe Stunde brauchte, um das Auto aufzuladen. Nach dem Adrenalinstoß Stunden zuvor war ich mittlerweile tiefenentspannt, ließ mich von nichts aus der Ruhe bringen und alles auf mich zukommen. An dieser Tatsache waren Nathan und seine Frau nicht unbeteiligt. Immerhin hatten sie mich mit Geschichten und Smalltalk bei Laune gehalten. Ich konnte den beiden gar nicht genug danken. Zum Abschied gab es eine herzliche Umarmung.

On the road to Aberdeen

Am Telefon erklärte mir die Call-Center-Dame, dass mich der Abschleppdienst nach Aberdeen bringen würde, weil dort am Flughafen eine Verleihstation wäre. Alles weitere blieb zunächst offen. Irgendwie war es mir auch egal, ich machte mir gar keine Sorgen was, wie, wann und wo als nächstes passieren würde. Erst einmal fühlte ich mich wie ein kleines Kind, dass zum ersten Mal in seinem Leben im Lkw mitfahren darf. Erst als der Abschlepper in einen Werkstatthof einfuhr, war ich verwirrt. Der Fahrer deutete mir auszusteigen. Als ich ihn fragte wie es weitergehen würde und ob er mich zum Mietwagenservice bringen würde, hörte ich nur Kehllaute nach feinster Aberdeenshire-Art. Es dauerte ein paar Wiederholungen seinerseits, bis ich verstand: Er müsse den zweiten Wagen auf der Ladefläche abladen und dann würden wir zum Flugahfen fahren. Prima! Wenn er für das Aufladen eines Wagens schon eine halbe Stunde gebraucht hat, wie lange würde es dann dauern zwei ab- und einen wieder aufzuladen? Mir blieb nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden. Hatte ich schließlich mehr damit zu tun, mich darauf zu konzentrieren, dass meine Blase nicht platzte. Denn ja, ich hatte während meiner Wartezeit eindeutig zu viel getrunken.

Unter Männern

Nachdem ich quer durch eine riesige Werkstatt geführt wurde, landete ich auf einem roten Ledersofa eines Wartezimmers. Nun merkte ich Müdigkeit, Hunger und meine Blase noch fünf Mal mehr. Eine halbe Stunde hielt ich es aus, geduldig zu warten, dann blieb mir nichts anderes mehr übrig als in das Werkstattbüro hineinzufragen, ob es vielleicht eine Toilette gäbe, die ich benutzen dürfte. Wieder Kehllaute. Einer der Männr im Office ergriff einen Schlüssel vom Haken und deutete mir an, ihm zu folgen. Wieder ging es quer durch die Werkstatt. Die neugierigen Blicke versuchte ich zu ignorieren.

Die blausten Augen Aberdeens

Als ich endlich am Flughafen ankam, war es bereits fast halb sieben. Erschöpft holte ich bei der Dame am Schalter aus, zu erzählen, bis diese mich mit den Worten unterbrach: „Okay, wir bringen dich erstmal wieder auf die Straße.“ Mithilfe der wahrscheinlich blausten Augen von Aberdeen, die dem Typen gehörten, der die Schlüssel der Mietwagen herausgab, füllte ich das Unfallformular aus. Als sich anschließend herausstellte, dass mein Ersatzwagen so ziemlich am anderen Ende des Parkplatzes stand, gab er mir zu verstehen, ich solle warten und er würde ihn holen. Erneut war ich einfach nur dankbar.

Das Dunnottor Castle habe ich bis heute nicht gesehen. Aber dieser Tag zeigte mir zweifelsohne: Diese Schotten machen es einem nur all zu leicht sie ins Herz zu schließen!

Ein Kommentar Gib deinen ab

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s