Vor knapp einem Jahr machte ich mich mit meiner besten Freundin auf nach Mallorca – dem deutschen Ausland, die Partyinsel. Sofort habe ich wieder die Melodie im Kopf „Malle ist nur einmal im Jahr…“. Nein – genau, dieses Klischee wollten wir NICHT erleben. Und siehe da: Diese kleine Balearen-Insel kann viel mehr, als nur Ballermann.
Sant Salvator
Das Herz unserer einwöchigen Reise bildete Artà, eine gemütliche Stadt im Nordosten der Insel. Viele Reiseführer schreiben, dass sie bisher von großen Touristenströmen verschont geblieben ist. Vermutlich könnte ich dies bestätigen, wenn wir nicht gerade in der letzten Juli-Woche und damit im Zeitfenster des Patronatsfestes Sant Salvador dort gewesen wären. Unsere Ferienwohnung selbst war wunderschön. Wie beinah zu erwarten, gehörte sie einer Deutschen, die im unteren Geschoss einen wunderhübschen Laden für Raumausstattung hat. Das Highlight: Von der riesigen Dachterrasse hatte man einen unshlagbaren Panorama-Blick über die Altstadt zur Burg. Der einzige Haken: Direkt vor der Tür wurden am Tag unserer Ankunft diverse Fahrgeschäfte aufgebaut. Schnell verworfen wir die Fragen, wie die Spanier in so engen Straßen diese Rummelbuden aufbauen durften. Dennoch versuchten wir das Beste daraus zu machen und ließen uns von der Beschallung am Abend nicht stören. Schließlich war ab circa 10 Uhr Ruhe. Kritisch war es nur an unserem letzten Abend, der auch noch ein Samstag war. Hier gab es bis morgens kein Halten.
Labyrinth zum Quadrat
Artà selbst ist ein wunderschönes Fleckchen Erde. Wer mit dem Auto in den engen Gassen unterwegs ist, sollte sich darauf gefasst machen, sein Gefährt im rechten Winkel um die Ecken zu bringen – und Richtungen intuitiv einzuschlagen. Als wir versuchten nach Nordwesten aus der Stadt herauszukommen, sind wir bestimmt sechs Mal im Kreis gefahren. Im wahrsten Sinne des Wortes, ein Labyrinth. Wer glaubt, sich auf sein Navi verlassen zu können, den muss ich leider enttäuschen. Wir zumindest, kamen damit nicht weit.
Wehende Röcke und Gesiterspektakel
Wie die gesamte Insel, ist auch Artà nicht wirklich groß. Die Altstadt lässt sich bequem zu Fuß erlaufen. Wer seinen Blick in die Ferne schweifen möchte, dem empfehle ich zur Pfarrkirche und anschließend zur Burg hinaufzusteigen. Über deren Wehrgang liefen wir einmal drumherum und hielten dabei brav unsere Röckchen fest, da der Wind uns an diesem Tag immer wieder herausforderte.
Am gleichen Abend sollte ein Festumzug im Rahmen der Feierlichkeiten des Patronatfestes stattfinden. Überall sahen wir Hinweisflyer, dass lange Kleidung zu tragen sei, wenn man Umzug teilnehmen wollte. Daraufhin versuchten wir herauszufinden, was genau da von Statten gehen sollte. Nach einem netten Gespräch in der Touristeninfo im Regionalsmuseum erfuhren wir, dass bei dem Umzug Feuerwerke eine wichtige Rolle spielen. Netterweise wurden wir darauf hingewiesen, dass damit aber nicht die typischen Feuerkünste in der Höhe sondern jene am Boden gemeint wären. Unsere Neugier war geweckt – sollte es doch schließlich ein Geister vertreibendes Spektakel sein.
Warum springen die Kinder in den Brunnen?
Bevor es mit Einbruch der Dunkelheit losgehen sollte, brachten wir über weitere Recherchen in unserer Unterkunft in Erfahrung, dass es beim Umzug eine Art inneren Kreis gibt, der direkt mitläuft. Während die Übrigen als Schaulustige am Rande des Geschehens bleiben. Dementsprechend richteten sich die Kleidungshinweise nicht an letzere. Was uns Erleichterung brachte, denn trotz der untergehenden Sonne war dieser Juliabend unfassbar warm.
Kurz vor Beginn der Umzugszeremonie machten wir uns auf den Weg zum Marktplatz, in dessen Zentrum das Rathaus steht. Vom Balkon aus wurden spanische Reden gehalten. Da ich kaum ein Wort verstand, versuchte ich das Treiben auf dem Platz zu beobachten. Direkt vor dem Rathaus befindet sich ein zentraler, quadratischer Platz, der mit einer flachen Steinmauer umrandet ist. Auf dieser versammelten sich die ersten Schaulustigen, während die Mitte frei blieb. Wir vermuteten, dass sich das meiste Geschehen hier abspielen würde. Also versuchten wir auf einem kleinen Mauervorsprung Platz zu finden. Die schmale, gepflasterte Straße um den Platz herum füllte sich zunehmend mit Menschen, die fast alles spanisch sprachen. Das ließ dieses einheimisch, traditionelle Event noch authentischer wirken. Irgendwann beobachten wir zahlreiche Kinder zwischen, geschätzt, zehn und fünfzehn Jahren; die mit Sweatshirts, langen Hosen und Mützen bekleidet waren. Alle versammelten sich am Brunnen, am Rande des Platzes und begannen sich gegenseitig nass zu machen, sprangen teilweise sogar komplett hinein. Kurz darauf gesellten sich auch Erwachsene hinzu.
Mit Eintritt der Dunkelheit versammelten sich all die dunklen und klatschnassen Gestalten auf dem bisher freien Platz. Als plötzlich auf dem Balkon des Rathauses mehrere Teufelsgestalten mit tiefschwarzen, riesigen Kapuzen auftauchten und rotierende Feuerwerke am Geländer anzündeten. Aus der unteren Tür erschallen Trommeln und Dudelsäcke, die Menschen inmitten des Platzes begannen zu brüllen. Es wurde immer lauter. Ein Gänsehaut-Moment. Schließlich sprangen die Teufelsgestalten zwischen die Menge und aus ihren mannslangen Stäben, die sie bei sich trugen, spritzten Feuerkreisel meterweit, in alle Richtungen. Es war unglaublich. Spätestens als der gesamte Pulk begann sich schreiend und hüpfend fortzubewegen und die Feuerfunken bis zu uns flogen, schoss uns das Adrenalin durch die Blutbahn. Natürlich! Die bewegen sich ja in Richtung Kirche – schoss es mir durch den Kopf. Schön und gut. Inmitten des Platzes war keine Struktur in der Umzugsmasse zu erkennen. Im Gegenteil, die Teufel stoben in alle Richtungen und drängten die Schaulustigen samt uns an den Rand der Häuserfassaden. Es gab wortwörtlich kein Entkommen. Nach kurzer Zeit begannen sie sich jedoch zu formatieren und traten in Gebrüll und Feuerbrunst wie ein riesiger Glutwurm den Weg zur Pfarrkirche an.
Mit klopfendem Herzen sahen wir zu, wie sich die gesamte Menschenmenge auf dem Marktplatz auflöste und nahmen den Weg zu unserer Unterkunft auf. Auf dieses Erlebnis brauchten wir erst einmal einen Wein. Während wir diesen auf der Dachterrasse schlürften, schauten wir zu, wie sich die goldene Wolke ihren Weg durch die Gassen suchte, bis irgendwann das Licht erlosch – und mit ihm kehrte Stille ein…
…bis auf Enrique Iglesias, der uns aus dem Karussell entgegen schmetterte.
Empfehlungen
- Wer in der Nähe von Artà ist, sollte die Gelegenheit nutzen, zum Kloster Betlém in den Bergen der Halbinsel Llevant fahren – Man ist mit sich allein und hat einen tollen Blick über das Meer.
- Unterkunft in Artà: Die Ferienwohnung von Iris Reichle, zu finden hier
©EnilorNoel