Nach dem gestrigen Tag habe ich mir ein neues Kredo zurecht gelegt. Nach 14 Kilometern und fast 21.000 Schritten, dem Kampf mit tausenden Stechfliegen, im Schlamm watend und über Steine krachselnd, ist mit bewusst geworden, wie zufrieden ich sein kann. Das mag total verrückt klingen, aber selbst die Strecke, die Insektenbiester oder die Bodenbeschaffenheit waren irgendwie eine schöne oder besser gesagt spaßige Herausforderung. Gut, dass ich vergaß mich mit Summselbrum einzusprühen, soll mir eine Lehre sein – und im August werde ich vermutlich auch nicht mehr nach Schottland fliegen. Selbst wenn es regnet ist es verhältnismäßig warm. Ergo: Auch bei 17 Grad Celsius fühlen sich lästige Insekten richtig wohl. Wenn ich kurz stehen blieb, um ein Foto zu machen, fand ich mich jedes Mal in einem Nebel aus Fliegeviehzeug wieder. Die wiederum konnten es nicht lassen mich anzugreifen. Also war ich gezwungen, in Bewegung zu bleiben.
Wo Regen ist, ist auch Sonnenschein
Als ich morgens vom Säuseln des Windes und den platschenden Regentropfen am Fenster wach wurde, zeigte Schottland mir wieder, was „Nicht planen“ bedeutet. Zum Glück hatte ich mir gestern nicht mehr die Mühe gemacht, eine Tour für heute vorzubereiten. Langsam schob ich mich aus den Federn. Memo an mich selbst: Unbedingt eine Doppelbettdecke in Deutschland kaufen – die Dinger sind einfach mega! Ganz entspannt kochte ich Käffchen und genoss das andere typisch britische Frühstück: Marmeladentoast. Hin und her gerissen begann ich anschließend zumindest die Wanderkluft anzuziehen, der nachlassende Regen machte mir Mut. Da ich mein Leben lang gelernt habe, dass etwas, was dich nicht umbringt nur stärker macht, trat ich noch im Nieselregen meinen Weg zum Visitor Center an. Schließlich sollte es eine Runde entlang des Flusses Inver und durch die flacheren Highlands werden. Prompt lief ich erst einmal den falschen Startweg.
Die Schotten wissen wie Grundschule geht
Da ja bekanntlich mehrere Wege nach Rom führen, verblieb ich auf dem gemütlichen Waldweg. Hier war es wenigstens einigermaßen trocken, da das Blätterdach große Mengen an Wasser aufhielt. Plötzlich bemerkte ich, dass ich mich auf einem „School Path“ befand und stellte fest, dass im ganzen Wald ein einziger Abenteuerspielplatz verteilt war. Hütten, Holzspiele, aus Holz gebastelte Riesenspinnen die mitten im Baum hingen. Als ich dazwischen ein Schild mit der Aufschrift „View Point“ sah, bog ich scharf ab und stand nach einer gefühlten Ewigkeit (es waren nicht einmal 10 Minuten) mit Schnappatmung hoch über dem Hafen von Lochinver – im Regen… Die Aussicht war dennoch phänomenal. Nach kurzer Verschnaufpause ging es weiter und ich kam auch schon am Ende des Weges an. Vor mir eröffnete sich der Blick auf einen riesigen silber-schimmernden See – und an dessen Ufer die Grundschule.
Wenn Schönheit und Einsamkeit Erstaunen hervorlocken
Nachdem das nun nicht der Rundgang am River Inver und durch die kargen Highland-Hügel war, versuchte ich – wieder in Lochinver angekommen – den eigentlichen Weg zu finden. Mittlerweile regnete es so stark, dass ich meinen blauen Rumpelstilzchen Umhang über mich warf. Nach mehreren Sackgassen fand ich dann endlich das Schild zum eigentlichen Pfad. Weit kam ich nicht, denn der Regen ging so schnell wie er gekommen war und ich musste mich den Regenklamotten entledigen, weil es sich anfühlte wie im Gewächshaus. Danach sollte es zum Glück trocken bleiben. Nach ein paar Kilometern auf einer asphaltierten One-Way-Lane ins Nirgendwo kam ich an einem weiteren Loch (See) vorbei. Trotz dass mich die Fliegen förmlich auffraßen, musste ich stehenbleiben, um zu staunen. Schließlich ertappte ich mich dabei, wie ich mutterseelenallein lauter „Wow´s“ vor mich hinstammelte. Die gesamte Landschaft spiegelte sich in dem aalglatten See. In seiner riesigen Größe ließ er die gesamte Welt doppelt wirken.
Geheimnisse der Menschheit
Vom Loch aus erklomm ich den letzten großen Anstieg in die Hügel hinauf. Vermutlich hätte ich wie Hans-guck-in-die-Luft ausgesehen, wenn mich der schlammige Pfad nicht zur Konzentration gezwungen hätte. Schließlich habe ich daraus gelernt, als Kind vor Laternen und in Hundehaufen zu laufen. Mittendrin in der Hügellandschaft jedenfalls – ich immer noch völlig allein mit mir unterwegs – ließen sich die Reste einer alten Hütte erkennen. In solchen Momenten kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wer hat hier gelebt? Hat hier wirklich jemand gelebt? Was ist hier passiert? Bevor ich überhaupt eine Geschichte spinnen konnte, wurde meine Aufmerksamkeit schon wieder von etwas ganz anderem in Anspruch genommen. Auf einer Anhöhe unweit von mir, sah ich plötzlich lauter Reh-Köpfe über den Hügel schielen. Ganz langsam – um keinen Lauten Ton zu machen – wechselte ich mein Objektiv und konnte tatsächlich ein, zwei Schnappschüsse erhaschen, bis ich für eine Familie, die mir entgegenkam, den Weg räumen musste. Das erinnerte mich plötzlich daran, dass es auch noch andere Menschen hier gibt.
Erschöpft, aber glücklich
Ich blieb mehrere Male im Schlamm stecken, bis ich am Ufer des Flusses ankam. Nach einer kurzen Verschnaufpause wappnete ich mich schließlich für den letzten Abschnitt der Route. Die hatte es noch einmal in sich. Hätte es zuvor nicht geregnet, wäre es kein Problem gewesen über die Steine zu klettern. Doch der matschige Untergrund war völlig zertreten und die Felsen super rutschig. Entsprechend war es zu erwarten, dass ich früher oder später auf dem Pops lande – und so war es dann auch. Wenn es nicht so nass und schlammig gewesen wäre, hätte ich mich vor Lachen erst einmal auf dem Boden zusammengekullert. Muss echt elegant ausgesehen haben.
Es ist so besonders hier unterwegs zu sein, dass ich jeden Moment, jeden Meter genieße. So überrascht es zusammenfassend sicher nicht mehr, dass ich mich von Regen, Schlamm oder Stechfliegen nicht ärgern lasse. Im Gegenteil: Wandern heißt Freiheit – und Lächeln.
Ach ja, die Midgees. Kleine Plagegeister. Manchmal hilft nur das Moskitonetz… Schöner Ausflug mit schönen Fotos
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Oder einfach nicht mehr im August nach Schottland 🙂 Aber das mit dem Netz habe ich tatsächlich auch schon überlegt.
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Mir haben die Locals erzählt, dass die Midgees nach den ersten Regentagen auftreten, die auf eine längere Wärmeperiode folgen. Sprich – dieses Jahr hatte Schottland einen sehr schönen, warmen Mai und Anfang Juni kam wieder Schmuddelwetter. Ab Mitte Juni hatten wir Midgees, aber nicht so schlimm, wie von Dir beschrieben 😉
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