Überlebenstraining an der Sandwood Bay

Ein Grund, warum ich den Nordwesten als eines der diesjährigen Ziele für Schottland ausgewählt hatte, war die Sandwood Bay – eine Bucht mit dem wohl längsten und schönsten Sandstrand hier oben.

Toursitenattraktion 4.0

So ziemlich jeder Reiseführer weist auf die Sandwood Bay hin und preist die Bucht umso mehr an. So war es zu erwarten, dass im Hauptsaison-Monat August mit mir zusammen zahlreiche andere Touristen den circa anderthalb-stündigen Wanderpfad auf sich nahmen, um an diesen mehr oder minder einmaligen Strand zu gelangen. Da sich die Strecke ziemlich in die Länge zieht, war das für mich aber nicht unbedingt ein Problem. Es blieb schließlich genug Raum, um doch ein wenig allein zu sein. Der Weg selbst verläuft über gut ausgebaute Schotterwege ohne Höhen und Tiefen – also sehr entspannt – durch eine moorige Heidelandschaft. Auf dem kilometerlangen Strand selbst verteilen sich die Menschen dann auch ganz gut. Viele von ihnen verweilen nur kurz. Es ist beinah ein Kommen und Gehen. Da ich ein Freund davon bin, bei einer Auswahl mehrere Wege zum Ziel den zu nehmen, auf denen sich die geringste Anzahl anderer Erdbewohner bewegt, war ich schnell allein zwischen den Sanddünen und suchte mir ein kleines Fleckchen Sandkörner, um das Rauschen des Meeres zu genießen.

Domizil für Foto-Liebhaber

Da ich an diesem Tag mit dem Teleobjektiv unterwegs war, nutzte ich die Sandwood Bay um ein paar – oder eher viele – Schnappschüsse einzuholen. Da das Wetter leider nicht so mitspielte, wie ich es mir erhofft hatte, stellte sich der als karibisch-weiß angepriesene Strand eher als eine weiche Ockeroase dar. Bei der Suche nach Fotomotiven verging die Zeit plötzlich wie im Flug. Zu erlaufen gibt es hier schließlich eine sehr weite Strecke. Gegen frühen Nachmittag leerte sich der Strand mit einem Mal und es kehrte eine idyllische Einsamkeit ein. Als ich beschloss, mich auf den Rückweg zu begeben, entschied sich die Sonne hinter ihrem Wolkenkleid hervorzublitzen. Um diese Tatsache auszukosten, sollte mich mein Rückweg nicht über den bereits bekannten Weg führen, sondern entlang der Steilküste.

Ich sah den Weg vor lauter Gras nicht mehr

Am südwestlichen Ende des Strandes erklomm ich die Klippen über einen schmalen Trampelpfad empor zu den weidenden Schafen. Mit jedem Höhenmeter erstreckte sich die Bucht in einem noch schöneren Panorama unter meinen Füßen. Diese rutschten vermehrt über den schlammigen Untergrund. Durch den immer wiederkehrenden Regen hatte sich der Boden vollgesogen – und da die Schafe lieber über den gleichen Weg, als über das feuchte Gras liefen, war die Matschpartie vorprogrammiert. Über einen waghalsigen Wasserlauf, der die Klippe hinab in einen Wasserfall mündete, stieg ich hinauf bis zum höchsten Punkt der Steilküste. Für Menschen mit Höhenangst gewiss kein Zuckerschlecken, doch der Ausblick entlohnt jede Überwindung. Direkt unter mir ging es gut 100 Meter in die Tiefe, während sich vor mir der blau in blau gebogene Horizont erstreckte. Nach einer kurzen Verschnaufpause ging es weiter in südwestlicher Richtung, immer am Rand der Klippen entlang auf einem kleinen Trampelpfad.

Laut meines Wanderführers sollte es nach der Überquerung eines kleinen Bachlaufes schließlich linkerhand empor eines „breiten Bergkammes“ auf eine Anhöhe gehen. Klang einleuchtend. Doch wo war der Weg? Das Pärchen, welches einige hundert Meter vor mir die Klippen erklommen hatte, war mittlerweile inmitten der Hügellandschaft verschwunden. Ich war allein, mutterseelenallein an einer Steilküste ins nirgendwo, auf moorigen Grasboden, unter einer bei 18 Grad Celsius Umgebungstemperatur dennoch sehr sehr warmen, mittlerweile stark strahlenden Sonne. Ich wusste, dass der Weg auf den ursprünglichen Wanderpfad führen und ich bis dorthin circa 1,5 bis 2 Stunden unterwegs sein sollte. Mittlerweile war es 16.00 Uhr. Gemeinsam mit dem GPS versuchte ich meinen Kurs zu finden, verlor dabei aber insgesamt eine gute halbe Stunde durch das stete auf- und abgehen – auf der Suche nach diesem einen Pfad. Ich weiß bis heute nicht, ob ich einfach nur zu doof war ihn zu finden oder ob er durch Wind und Wetter mittlerweile verwachsen war. In meiner Wasserflasche befanden sich nur noch um die 200ml – und ich wusste, würde ich auf den Hauptpfad gelangen, läge immer noch eine gute Stunde bis zum Auto zurück vor mir. Verdammt noch mal, warum gab es hier nirgends fließendes Wasser? Also war ab jetzt die Devise: Schluck für Schluck einteilen.

Seine Grenzen testen

Auf der Suche nach dem einen Weg habe ich zweifelsohne meine eigenen mentalen und körperlichen Grenzen ausgetestet – auf das äußerste. Neben der körperlichen Anstrengung über den weichen, nassen Boden zu stapfen, die Sonne im Genick, begann ich von Minute zu Minute nervöser zu werden. Der Weg zum Strand zurück war inzwischen sehr weit geworden. Und hinzu kam: Ich wollte mich von dieser biestigen Landschaft nicht geschlagen geben. Also entschied ich mich zu einem vielleicht waghalsigen Manöver: Den erstbesten Weg auf die Anhöhe – Sah ich sie schließlich direkt vor mir.

Ich habe mal gelernt, dass sichtbare Entfernungen täuschen können – das zählt auch für den Grad der Anhöhen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich sie erschöpft, mit knallrotem Kopf, aber glücklich. Denn: Vor mir lag der Hauptpfad, auf dem die Touristen ihre Ameisenbahnen zogen sowie einer der Seen, an dem ich auf dem Hinweg vorbeigekommen war. Mit schweren Beinen stolperte ich zwischen den Heidebüschen hinab und bahnte mir meinen kräftezehrenden Weg hinab. Am See angekommen, gaben mit dem Sand zusammen meine Beine nach. Ich kämpfte mich noch einen Meter ans Ufer, um mir zwei volle Hände Wasser über den Kopf zu gießen – und war stolz. Stolz darauf nicht aufgegeben zu haben und darauf, nicht auf einer klitschnassen Steilküste schlafen zu müssen.

Während neben mir deutsche Touristen im Wasser planschten, mobiliserte ich meine wirklich allerletzten Kräfte und machte mich über den altbekannten Schotterweg zurück zum Auto und auf die Suche nach Wasser.


Tipp am Rande

Die Sandwood Bay ist sehr eindrucksvoll, keine Frage. Dennoch lädt der Strand mich nicht unbedingt dazu ein, ihn wieder zu besuchen. Den wunderschönsten Strand, der bis heute in Erinnerung geblieben ist, ist unweit von Cullen – im Nordosten Schottlands – zu finden. Im Beitrag zum Moray Coast Trail schrieb ich bereits darüber.

 

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4 Kommentare Gib deinen ab

  1. Toll da war ich ja auch 🙂 Wie hieß nochmal der Stein der aufrechte … und gab es immer noch so viel Plastmüll am Strand und in den Dünen? Das fanden wir ja damalserschreckend .. da fängt man mal gleich von sich aus mit Zero Waste an 😀 LG

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    1. Eni sagt:

      Am Buachaille heißt diese Felsnadel 😉 Bezüglich des Mülls muss ich sagen, dass mir nichts desgleichen aufgefallen ist. Ich habe nur zwei Stellen mit Überresten von Lagerfeuern gesehen. Vielleicht werden die lieben Touristen vorbildlicher 😂

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      1. Leider war es schlimmer .. es war wirklich viel aus dem Meer angespültes :/ Ganze Netze und Plasttonnen und und und .. sonst war der Ort bezaubernd. Auch wenn er manchen an die körperlichen Grenzen bringt .. Da hast du dich ganz schön mutig durchgekämpft.

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      2. Eni sagt:

        Das ist ja krass. Nein, davon war gar nichts zu sehen. Das habe ich aber an der Nordwestküste am Moray Coast Trail erlebt. Da lag sogar eine halb aufgelöste Matratze am Ufer… Aber ja, die Sandwood Bay an sich war bezaubernd – der Rest eine völlig neue Herausforderung 😂

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