Im Schlafzimmer von Mary Stuart

Einer meiner Anrufe heute auf Arbeit begrüßte mich mit einem wunderbaren englischen Akzent. Es passiert nicht selten, dass sich Call Center mit Akquise-Anfragen bei uns melden. Doch der Grund war mir eigentlich egal, denn ich war bezaubert. Plötzlich war ich ganz weit weg. Die Sehnsucht wurde geweckt. Grund genug wieder einmal einen kurzen Rückblick auf meine Erlebnisse in Schottland niederzuschreiben. Diesmal führt er mich in das gemütliche Falkland.

Von romantischen Fantasien und gelebter Geschichte

Das kleine Örtchen, eine knappe Stunde nördlich von Edinburgh, wurde zuletzt durch die Serie Outlander berühmt. Hier stellte es das Inverness von 1946 dar, in dem Claire und Frank Randall ihre zweiten Flitterwochen verbrachten. Dieser Spur folgte ich bereits im letzten Jahr – auf der Suche nach dem Geist des Hochlandschotten Jamie Fraser, der am Brunnen steht. Gefunden habe ich ihn auch diesmal nicht. Letztlich wollte ich aber das bombastische Spätsommer-Wetter dafür nutzen den Falkland Palace zu besichtigen. Was mich an ihm reizte – also an dem Palast, nicht Jamie Fraser – war der viel umschwärmte Garten. Bei blauem Himmel und warmer Sonne wollte ich meinen letzten Urlaubstag lesend an einem ruhigen Fleckchen Erde verbringen. Da ich bereits mit Öffnung der Tore die Gelegenheit nutzte, konnte ich entspannte Bahnen ohne viele drängelnde Touristen durch den Palast und schließlich in dessen Umgebung ziehen.

Auf den Spuren königlicher Schotten

Das Gebäude, wie es heute zu großen Teilen noch erhalten ist, wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts durch King James IV und dessen Sohn James V als „Lust Palast“ ausgebaut. Über die Jahre hinweg wurde es von zahlreichen schottischen Königen als Jagdschloss genutzt. Die wohl berühmteste Bewohnerin war Mary Stuart, Queen of Scots. Immer wieder kann man davon lesen, wie sie hier ihre Zeit zum Reiten, Jagen und vor allem Tennis spielen nutzte. Denn: Im Garten des Falkland Palace befindet sich der älteste Royal (oder Real) Tennis Court Großbritanniens.

Lebendige Geister

Bevor man in den Schlossgarten kommt, durchläuft man die kleine Tour im inneren der Mauern – beginnend mit den Schlafgemächern des letzten Schlossverwalters, der Anfang des 20. Jahrhunderts noch mit seiner Frau hier wohnte. Spätestens beim Betreten der anschließenden Kapelle fühlte ich mich durch die Zeit zurück gezogen. Vor mir offenbarte sich Holzvertäfelung vom Feinsten und eine Reihe wunderschöner bunter Bleiglasfenster, die jeweils die Namen und Wappen der schottischen Royals tragen. Manchmal glaubt man schon so viele historische Gebäude und Räumlichkeiten gesehen zu haben, dass ein Ei dem anderen gleichen müsse. Doch das Innere des Falkland Palace faszinierte mich von Neuem.Ich wandelte mit jedem Schritt auf den Spuren historischer Persönlichkeiten, die vor hunderten von Jahren versuchten die Welt zu verändern. Vielleicht war es die Tragik ihrer Regentschaften, dass diese Mauern so viel dunkler, die Wandteppiche so viel realer, die Böden so viel kälter und das elektrische Licht so viel kerzen-ähnlicher erscheinen ließen. Als ich von der Kapelle in die lange, hohe Galerie trat, sah ich sie beinah in ihrem Renaissance-Kleidern vor mir dahin spazieren.

Von kleinen Männern in kleinen Betten

Nach der Überquerung eines nicht mehr erhaltenen Gebäudeteils, der früher der Flügel des Königs (es muss einer der James`gewesen sein – und ja er bewohnte einen ganzen Flügel mit eigener Küche) war, trat ich in ein kleines Schlafgemach mit einem noch kleineren Doppelbett. Begrüßt wurde ich von einem urigen, unglaublich freundlichen Schotten, der sich die Zeit nahm und sogar noch einmal mit mir vor die Tür ging, um mir den königlichen Flügel vor dem inneren Auge zu rekonstruieren. Von ihm erfuhr ich schließlich auch, dass das antike, mit wunderschönen Schnitzereien verzierte Himmelbett einst um die halbe Welt geschippert wurde, um schließlich des Königs winzigen Körper zu betten. Der habe vermutlich nicht einmal das ganze Bett in dessen Größe ausgereizt, da er halb sitzend geschlafen habe.

Dem Himmel so nah

Darüber liegend und somit im Turmzimmer, befindet sich die Rekonstruktion des Schlafzimmers Mary Stuarts. Überaus gemütlich, wie ich feststellte. Für die erzkatholische Queen of Scots befand sich in einer Zimmerecke natürlich ein kleiner Altar. Doch dem nicht genug, besaß sie zudem ein Bett, welches auf beiden Einstiegsseiten kleine Türchen im Bettrahmen besaß. Wofür? Ja, das habe ich mich auch gefragt, bis mir die nette Guide-Dame im Zimmer Auskunft gab. Klappte man die Türen auf, konnte sich Mary ganz graziös zum Beten an die Bettkante knien. Faszinierend – und ziemlich strebsam! Und wieder umspühlte mich die Greifbarkeit der Geschichte. Ich spürte beinah ein wenig Wehmut darüber, dass sie ihren Kopf verlieren musste. Memo an mich: Zeitreisen ist ein Märchen, auch wenn es super wäre diese Menschen zu treffen, dessen Schlafzimmer du bestaunst.

Erinnern erinnert

Erneut wurde mir bewusst, wie leicht man Geschichte durch ein wenig Tragik romantisieren kann. Vielleicht ist das auch das Geheimnis der Schotten, um nie den Frohsinn und Lebensmut zu verlieren. Aus jeder noch so tragischen Erfahrung spinnen sie Geschichten, die beim Verarbeiten helfen und Jahrhunderte später die Erinnerungen auf eine spannendere aber vor allem leichtere Weise erhalten. An Marys traumatischen Untergang erinnert hier keine Silbe – im Gegenteil, sie wird lebendig gehalten. Mit ihr wandelt man durch die Flure, über den akkurat gemähten Rasen; sieht ihr beim Real Tennis zu, bis sie schließlich im Labyrinth des Obstgartens verschwindet. Doch gestorben ist sie nie ganz.


Geschichten am Rande
  • Ein erstes Tower-House bestand auf dem Grund und Boden des heutigen Falkland Palace bereits im 13. Jahrhundert.
  • 1402 verhungerte der Legende nach der eigentliche Thronerbe von Robert III. im Kerker der Burg – sein Onkel soll dafür gesorgt haben.
  • Der Schlossgarten wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg wieder nach seinem ursprünglichen Vorbild des 16. Jahrhunderts hergerichtet.

Infokasten
  • Öffnungszeiten: April bis Oktober, 11.00 bis 17.00 Uhr
  • Eintritt: 12,50 Pfund (Stand 06.10.17)
  • Für Familien – und alle, die Spaß daran haben: Im Obstgarten des Schlossparks (versteckt hinter der Palastmauer) befindet sich ein kleiner Verschlag mit Outdoor-Spielzeug 🙂

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