Egal wie sehr man versucht sich in bestimmte menschliche Schicksale hineinzuversetzen – dir Vorstellung ein Sinnesorgan oder eine Gliedmaße zu verlieren oder gar gelähmt zu sein, dringt bei mir nicht einmal ansatzweise hindurch.
Als Kind unternahm ich oft den Versuch mir die Ohren zuzuhalten oder im Dunkeln durch das eigene Kinderzimmer zu tasten, um ein wenig von dem zu spüren was Menschen mit diesen Behinderungen fühlen. Weit gefehlt, denke ich mir heute – man kann es einfach nicht nacherleben. Zu stark ist das Bewusstsein von der Kurzfristigkeit. Schalte ich das Licht ein oder nehme die Finger von den Ohren ist alles wie vorher.
Wunder der Technik
Denke ich an körperliche Beeinträchtigungen, ist es ähnlich. Wie oft achten wir darauf, ob Fußwege für Rollstuhlfahrer abgesenkt sind oder Fahrstühle an den U-Bahn-Stationen existieren? Mein Leben lang ist es mir nur dann aufgefallen, wenn Betroffene verzweifelt an den Straßenecken standen oder um Hilfe baten. Mittlerweile hat sich meine Sicht auf solche Dinge verändert oder besser gesagt sensibilisiert. Ich habe viele Menschen kennengelernt, deren Leben durch Unfälle oder Krankheiten auf den Kopf gestellt wurden. Als Pressereferentin für Medizinische Messen betreue ich seit einiger Zeit die OTWorld – eine Veranstaltung die sich mit der orthopädie-technischen Versorgung beziehungsweise Rehabilitation von Menschen mit Handicap befasst. In meiner täglichen Arbeit erlebe ich somit die Wunder der Technik, was sie mit Menschen bewirken – und vor allem, dass nichts unmöglich ist.
Das Schicksal ist ein mieser Verräter – Nein!
Vor ein paar Monaten saß ich gebannt vor dem Fernseher, wenn der Paralympics-Goldmedaillengewinner Heinricht Popow auf der Tanzfläche von Let`s Dance sein Bestes gab. Mit neun Jahren wurde ihm das Bein bis zum Oberschenkel amputiert. Unterkriegen ließ er sich nie. Eric Dargent verlor sein Bein beim Surfen. Dank moderner prothetischer Technologien steht er nicht nur auf dem Skateboard, sondern auch wieder auf den Wellen. Wenn mich eines an diesen Persönlichkeiten begeistert, dann ist es ihr Biss. Sie zeigen, dass jeder sehr schnell Hinfallen kann, doch wieder aufzustehen erfordert Mut. Mut, der sie erreicht, weil sie nicht allein sind. Genau das habe ich zur OTWorld das erste Mal in meinem Leben so richtig gespürt. Es ist ganz normal, dass man hinschaut, wenn jemand mit Prothese oder im Rollstuhl zu sehen ist. Doch ich kann euch sagen, schneller als man denkt, ist das völlig egal. Irgendwann war ich eher damit beschäftigt beinah fassungslos festzustellen, dass sich unter dem Hosenbein tatsächlich modernste Technik versteckt. Denn: Man nimmt es nicht mehr wahr. Irgendwann beginnt man dann begeistert davon zu sein, wie eine myoelektrische Hand durch Druckbelastung des Stumpfes in der Prothese einen Becher greift oder gar Jenga Steine verschiebt und umstapelt. Angel Giuffria, die im Film Mockingjay ein Tribut aus District 8 spielte, lädt mit ihrer Armprothese sogar das Handy.
Manchmal könnte man sogar annehmen, dass hinter all diesen kleinen Wundern eine Prise Magie steckt. Doch neben der menschlichen Stärke steht Manpower, die diese innovativen Technologien entwickelt und anpasst, die für den Erfolg und die individuelle Zukunft jedes Einzelnen arbeitet. Die OTWorld zeigt mir einmal mehr: Nur gemeinsam kann man etwas bewegen.
Foto: Leipziger Messe / Martin Neuhof