Schottland 2018 – Teil 4
Nach meinem Sonnenbadetag auf der Isle of Iona holte mich am nächsten Morgen die faszinierende Wendigkeit des schottischen Wetters ein. Beim Öffnen der Jalousien erlebte ich ein Schauspiel der besonderen Art. Das Meer lag ruhig im sich zurückziehenden Sog der Ebbe. Von Osten heranziehend bäumte sich eine Nebelfront über der Bucht auf. Dennoch versuchte die Sonne ihre morgendlichen Strahlen durch das Dickicht zu schieben. Was dabei entstand, war ein besonderes Farbenspiel zwischen hell und dunkel, zwischen Klarheit und Verschleierung. Nur schwer konnte ich mich von diesem Anblick lösen und turkelte schlaftrunken zum Frühstück. Während ich im Wintergarten von Kims gemütlichem Häuschen mein Rührei aufgabelte, wanderte mein Blick immer wieder zum Meer hinaus. Minütlich veränderte sich das Licht und mit ihm die Welt darunter. Dann und wann prasselten zarte Regentropfen gegen die Scheiben, bis sie erneut vom warmen gelben Schein der Sonne vertrieben wurden. Als ich schließlich den letzten Schluck Kaffee vertilgt hatte, begann es sich einzuregnen. Hinzu gesellte sich ein summender Wind, der immer wieder die Äste der umliegenden Sträucher gegen das Häuschen kratzen ließ. Also beschloss ich mich in den Korbsessel meines Zimmers zurückzuziehen und mich den schnulzigen Büchern zu widmen, die ich zu Hause nur selten anrührte. Selbst am frühen Abend konnte ich nur dabei zusehen, wie sich die nasse Wolle der Schafe schwer im Wind wiegte, während ihre Mäuler unberührt das grüne Gras zermahlten. Morgen ist ein neuer Tag und auch das gehört zum Urlaub, dachte ich mir: Einfach mal die Motoren runterfahren.
Einbahnstraße ins Nirgendwo
Eher durchwachsen, aber dennoch trocken, gestaltete sich der kommende Tag. Mein Ziel sollte eine alte Burgruine sein. Das Castle Moy liegt in einer Bucht in der Nähe des Ortes Lochbuie. Bereits während meiner Fahrt dort hin, gab ich mich der Tatsache geschlagen, dass ein Navi auf der Isle of Mull nie und nimmer von Nöten ist. Lediglich den Tank des Autos sollte man im Blick behalten, denn bis zu einer Zapfanlage konnte man durch die Single Track Roads schnell eine halbe Stunde oder gar länger unterwegs sein. Der Weg nach Lochbuie war schließlich nicht zu verfehlen: Von der einzigen Straße – auf der ich mich gerade selbst befand – ging irgendwann wiederum eine einzige Straße in Richtung Osten der Insel. Was sich dann vor mir auftat, war ein kleines abenteuerliches Unterfangen. Zum wiederholten Male während dieses Urlaubes war ich dankbar darüber, dass ich bereits Erfahrungen mit dieser Art von Straßen hatte. In seichten Steigungen ragte der Asphalt vor mir Empor, bis er irgendwann schier endlos in den Himmel aufstieg, rechts und links von Bäumen gesäumt. Der kleine Opel Mocca verlangte etwas Schwung und ich konnte nur beten, das am Zenit des riesigen Hügels kein Gegenverkehr lauerte. Irgendwann begann sich meine Strecke wieder in ebenerdigeren Gefilden entlang zu bahnen. Ein wenig erinnerte es mich an die behelfsmäßig teilbetonierten Landwirtschaftswege daheim. Alles kein Problem. Mein braves Gefährt hatte genug Platz zwischen Unter- und Erdboden. Immerhin konnte ich nun wieder weiter blicken, als bis zum Ende meiner Motorhaube. Dann der nächste Kick: Links eröffnete sich plötzlich das Meer. An manchen Stellen trennte mich nur knapp ein halber Meter vor der aufkeimenden Flut. Ich schwitzte – und war schließlich stolz auf mich, als ich nach knapp 45 Minuten endlich den ersehnten Schotterparkplatz erreichte.
Gespenstisch surreal
Die Sonne kämpfte hinter den hellgrauen Wattewolken, verlor aber zunehmend den Kampf. Dennoch machte ich mich auf, vorbei an Cottagemauern, den Weg zum Castle Moy zu suchen. Dank der vorbildlichen Ausschilderung durchquerte ich wenige Minuten später ein Gatter und betrat die breite Uferböschung der Bucht. Vor mir ragte ein großes, weißes Herrenhaus auf, davor eine riesige Weide, deren Zaun mich davon abhielt zu nah zu kommen – wie aus einem Bilderbuch. Vor mir versuchten ein paar Schafe kläglich vorbeizustolzieren, um sich wenig später auf den feuchten Sand des Strandes zu legen. Eine urig alte Eiche flüsterte ihre Geschichten und eröffnete hinter ihren tief hängenden Ästen den Blick auf die Überreste des Moy Castle. Die Burg entstand wohl im frühen 15. Jahrhundert, war lange Zeit Stammsitz des Clan McLean bis die Bewohner im späten 18. Jahrhundert in das nebenliegende Herrenhaus umsiedelten. Heute wirkt es gespenstisch, berührt beinah die Wellen des Meeres. Mehr als das Gemäuer von außen, ist leider auch nicht zu sehen. Aufgrund statischer Instabilitäten wird der Zutritt verwehrt. Nach einer entspannten Runde drumherum, beschloss ich den Weg in Ufernähe weiterzulaufen und mich überraschen zu lassen, wohin er mich führt.
In einer seichten Kurve lief ich entspannt um einen Hügel herum. Mittlerweile hatte ich zum Meeresspiegel etwas Land gewonnen. Einen Augenblick später erstreckte sich vor mir ein riesiger weiß-gelber Sandstrand. Von einzelnen Sonnenstrahlen umsäumt, die sich nur die nun mehr dunkelgrauen Wolken am Horizont pressten, lag dieses Fleckchen Erde so still und unberührt vor mir. Eine kleine Welt, die so traumhaft sureal Besitz von mir ergriff. Erst Minuten später realisierte ich, dass ich wie angewurzelt stand und einfach nur starrte. Dann erblickte ich sie. Eine kleine Herde rötlich schimmernde Hochlandrinder trottete gemütlich über den kühlen, nassen Sand. Eines der Tiere wälzte sich genüsslich, bis es schließlich gemütlich liegen blieb und den Blick gen Meer richtete – beinah so verträumt, wie ich kurz zuvor. Andere taten es ihr gleich und so durfte ich Zaungast beim Strandausflüg der Kühe sein. Etwas friedlicheres habe ich selten erlebt.